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Epsilon Eridani

By Adrien Pfeuffer

[Summary: Story about a person waking up on a spaceship after meeting a philosopher in a bar and half drunkenly signing up for cryonics.]

[English Translation Status: Not Attempted]


Viel Glück!

Ich wache auf. Dunkel. Ich öffne die Augen. Immer noch dunkel. Kopfweh. Ich versuche, aufzustehen. Mir wird schlecht. Der übelste Kater meines Lebens. Dann bleibe ich halt liegen. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Ich schaue mich um. Das ist nicht meine Wohnung. Bettlaken: Weiß, steril. Wie im Krankenhaus, aber es riecht nicht nach Desinfektion. Tatsächlich rieche ich überhaupt nichts. Das Bett erinnert in Form und Größe an eine Badewanne – oder einen Sarkophag. Fühlt sich wie Plastik an. Die Wand neben mir scheint aus quadratischen Plastikkacheln zu bestehen. Wahrscheinlich sind sie bunt, aber in der Dunkelheit kann ich nur Grautöne erkennen. Über mir sehe ich Sterne. Durch ein Dachfenster? Endlich etwas Vertrautes. Sie sehen aus wie unendlich kleine Lichtpunkte, unendlich weit entfernt. Aber etwas stimmt nicht. Ich schaue genauer hin. Aha, die Sterne funkeln nicht. Ich grübele, was das bedeutet, aber mein Gehirn will nicht. Gut, dann denke ich eben später darüber nach. Die wichtigen Fragen zuerst: Wo bin ich, und wie bin ich hier hergekommen?

Ich döse eine Weile vor mich hin, vielleicht Stunden, vielleicht nur Minuten. Langsam werden meine Gedanken klarer, und einzelne Erinnerungen kommen zurück. Ich bin auf einer Party. War das gestern? Das würde den Kater erklären – obwohl ich normalerweise nicht so viel trinke. Da war dieser Mann, mit dem ich mich unterhielt. Mitte dreißig, irgend ein osteuropäischer Name. Ilja oder Eli [1] oder so. Wir sprachen über Philosophie, über Ethik, über Medizin. Es kommt selten vor, dass ich mich mit einem Fremden so früh über so tiefe Themen unterhalten kann, aber hier klappte es sofort. Viele seiner Ideen waren ungewöhnlich, überraschend, seltsam. Manchmal auch etwas verrückt. Aber wenn ich genauer drüber nachdenke, hat er gar nicht so viel gesagt, er hat fast nur Fragen gestellt. Erst in meinem Kopf wurden daraus seltsame, fast schon verstörende Gedanken. Ich versuche, mich an die Unterhaltung zu erinnern. Die erste seiner Fragen war so banal, dass sie fast schon lächerlich wirkte:

„Du siehst ein dreijähriges Kind bewusstlos auf einer Eisenbahnschiene liegen. Aus der Ferne nähert sich ein Zug. Trägst Du das Kind von der Schiene weg?“

Ich schaue ihn verwundert an. Was ist das für eine blöde Frage? Worauf will er hinaus?

„Komm’ schon, das ist keine Fangfrage.“

Ich zucke mit den Schultern: „Ja, natürlich. Was denn sonst?“

„Warum bist Du da so sicher?“ - „Du hast gesagt, es ist keine Fangfrage.“

„Ist es auch nicht. Meinst Du es gibt so etwas wie ein allgemeines Prinzip dahinter? Sollen wir jedes Leben retten, das wir retten können?“ - „Ich denke schon. Worauf willst Du hinaus?“

„Angenommen, ein Hundertjähriger droht, an Altersschwäche zu sterben. Sollen wir ihn retten?“

„Das ist absurd. Das können wir überhaupt nicht. Irgendwann ist der Körper einfach alt und müde.“ - „Im Moment hast Du Recht. Aber angenommen wir könnten – wäre es gut oder schlecht?“

Ich zögere. Er setzt nach: „Das ist auch keine Fangfrage.“

„Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es irgendwann besser, einfach zu sterben.“

„Ab wann? Mit achtzig? Mit hundert? Mit hundertzwanzig?“

„Irgendwann sind wir so alt und krank und senil, dass wir das Leben einfach nicht mehr genießen können. Dann würde es mich nicht mehr stören, wenn ich abtreten müsste.“

„Ah, ja… Angenommen Du bist Arzt; ein Vierzigjähriger kommt in Deine Praxis und klagt über Konzentrationsschwierigkeiten. Du hast ein Medikament, das helfen würde. Gibst Du es ihm?“

„Ja, klar, aber…“ - „Okay, und ein Neunzigjähriger mit dem selben Problem?“

„Ist das in dem Alter nicht mehr oder weniger normal?“

„Das Medikament würde ihm auch helfen. Ist Gesundheit nur bis zu einem bestimmten Alter erhaltenswert, und danach nicht mehr? Wo ist die Grenze?“

„Das ist eine schwierige Frage. Auf die Schnelle habe ich da keine gute Antwort.“

„Es geht noch weiter. Angenommen der Vierzigjährige in Deiner Praxis kann sich immer noch überdurchschnittlich gut konzentrieren. Aber er ist Fluglotse, und wenn das Problem schlimmer wird, muss er seinen Beruf aufgeben. Ist es immer noch gut, ihm zu helfen?“

„Natürlich. Aber ich mache mir schon Sorgen, was als nächstes kommt…“

„Nun, sein Nachbar kommt auch in Deine Praxis. Er kann sich durchschnittlich gut konzentrieren, aber es ist sein Traum, Pilot zu werden – und dafür ist Durchschnitt einfach nicht genug. Er ist nicht krank, aber das Medikament würde auch ihm helfen. Verschreibst Du es?“

„Ich bin mir ziemlich sicher das wäre illegal.“ - „Aber wäre es gut oder schlecht?“

„Das ist kompliziert.“ - „Nein, ist es nicht. Entweder es ist nicht wünschenswert, sich sehr gut konzentrieren zu können. Dann solltest Du keinem das Medikament geben. Oder es ist wünschenswert. Dann sollten es beide bekommen. Alles andere wäre inkonsequent.“

„Jetzt darf ich aber mal fragen: Wo ist die Grenze? Sollen wir alle zweihundert Jahre alt werden? Fünfhundert? Tausend? Nicht nur bis ins hohe Alter topfit sein, sondern auch noch mit dem Körper von Olympiasiegern und dem Geist von Nobelpreisträgern? Und uns schließlich in etwas verwandeln, das gar kein Mensch mehr ist?“

„Warum sollte es eine Grenze geben? Leben ist gut, Gesundheit ist gut, Schönheit und Glück und Spaß und Lachen und Herausforderung und Lernen sind gut. Das ändert sich nicht für hinreichend große Werte von Leben und Schönheit. Vielleicht gibt es irgendwo eine Grenze, die wir nicht überschreiten können. Aber das können wir nur herausfinden, indem wir es ausprobieren.“

„Das soll Philosophie sein? Es klingt ja fast schon kindisch. Machst Du es Dir nicht zu einfach?“

„Warum soll es kompliziert sein? Ist die einfachste Antwort nicht die beste?“

„In der Naturwissenschaft, ja. Aber gilt Ockham’s Rasiermesser auch für Philosophie? Große Philosophen schreiben immer über geistige Höhenflüge und verschlungene Gedankengänge.“

„Für mich ist der Zweck von Philosophie nicht, möglichst paradox und merkwürdig zu klingen, und so Philosophen berühmt zu machen. Der Zweck ist, uns zu zeigen wie wir uns entscheiden sollten, damit wir mehr Leben und Gesundheit, mehr Schönheit und Glück, mehr Spaß und Lachen, mehr Weisheit und Herausforderung finden können. Eine Million Jahre leben? Wenn es möglich ist, warum nicht? Es mag für uns heute schockierend klingen, aber was genau wäre daran schlecht?“

„Nun, es hat doch auch gute Seiten, dass wir irgendwann sterben. Gibt nicht der Tod dem Leben auch Wert, Bedeutung und Dringlichkeit? Hat man nicht irgendwann alles gesehen? Und wo sollen wir die ganzen Menschen hinpacken, wenn wir sie nicht begraben können?“

„Glaubst Du das wirklich, oder ist das nur eine Ausrede, um dich mit dem scheinbar Unausweichlichen abzufinden?“ - „Willst Du damit sagen, ich lüge?“

„Nein. Aber unser Verstand ist sehr gut darin, sich Rechtfertigungen zurechtzulegen ohne dass wir es merken. Angenommen, jedem Menschen auf der Welt würde jeden Donnerstag um Punkt 18:00 ein Backstein auf den Kopf fallen. Früher oder später würde man sich wohl damit abfinden, und auch die Vorzüge loben – zum Beispiel, dass man die backsteinfreien Tage dann viel mehr genießen kann. Aber wenn Du jemandem, der nicht jede Woche einen Backstein auf den Kopf bekommt, dieses Angebot machen würdest, würde er es annehmen?“

„Das ist doch albern! Natürlich nicht.“ - „Nun, stell’ dir vor Du triffst jemanden, der nicht irgendwann alt und krank wird und stirbt. Sagen wir mal, eine von Tolkiens Elben. Du machst ihr einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn Du nach einer bestimmten Anzahl Jahre anfingst, krank, schrumplig und gebrechlich zu werden, und irgendwann komplett aufhörst zu existieren und verrottest? Wäre das nicht toll? Du könntest das Leben, das Du hast, viel mehr genießen! Und wird Dir die Ewigkeit nicht irgendwann auch langweilig? - Würde sie Dein Angebot annehmen?“

„Ich denke nicht. Aber das ist etwas ganz anderes. Wir haben nicht die Wahl, und sollten uns mit unserem Schicksal abfinden.“ - „Exakt diese Wahl kann ich Dir nicht anbieten. Aber wie wäre es mit einer Wette: Wenn Du irgendwann einmal sterben solltest, bekommst Du eine realistische Chance, in einer fernen Zukunft wieder aufzuwachen, in der Alter, Krankheit und Mangel der Vergangenheit angehören.“

„Der letzte, der mir so etwas ähnliches versprochen hat, war ein Priester. Warum sollte ich Dir glauben, und nicht ihm?“ - „Weil ich nicht nur glaube, dass ich meine Versprechen halten kann, ich weiß es. Und wenn Du die Daten gesehen hast, wirst Du es auch wissen. Interessiert?“

Meine nächste Erinnerung ist, dass wir uns ein paar Internetseiten angesehen und ich mich irgendwo registriert habe. Okay, angetrunken auf einer Party irgendwelche Dinge zu unterschreiben ist nicht sehr clever – aber mir ist noch nicht klar, was das mit meiner aktuellen Situation zu tun hat.

Irgendwann später ging ich nach draußen. Es war dunkel und regnete. Ich war etwas müde, aber setzte mich dennoch auf mein Motorrad und fuhr in die Nacht hinaus. Dann ein Tunnel. Mir kamen vier Lichter entgegen, zwei davon auf meiner Fahrspur. Elefantenrennen. Kein Platz auszuweichen. Mein letzter Gedanke war ein saftiger Fluch. Danach nichts mehr.

War das ein Traum? Das muss es gewesen sein, von Alkohol bekomme ich oft Albträume. Das Kopfweh verschwindet langsam, und meine Gedanken werden klarer. Ich schaue mir noch einmal die Sterne über mir an, und frage mich wieder, was mir an ihnen seltsam vorkommt. Ach ja, sie funkeln nicht. Sterne funkeln, wenn sich ihr Licht in der Atmosphäre bricht. Entweder ist das ein Bild, oder die Atmosphäre ist nicht mehr da. Ich suche den großen Bären, und finde ihn. Er ist spiegelverkehrt. Ich stehe auf, klettere aus meinem Bett und schrecke zurück. Vor meinen Füßen erstreckt sich ein gähnender, bodenloser Abgrund, über mir steht mein Spiegelbild. Mir wird kurz schwindlig, während sich der Raum in meinem Kopf dreht, nun mit dem Himmel unter mir.

So starre ich eine ganze Weile durch das Fenster im Boden, während sich die Sterne langsam unter mir vorbei drehen. Als ich das schmale, leuchtende Band der Milchstraße erkenne, ändert sich meine Perspektive erneut. Ich schaue nicht mehr von unten herauf oder von oben herab. Ich schaue von außen herein.

Schließlich mache ich mich auf, meine Umgebung zu erkunden. Als ich mich an der Wand neben meinem Bett entlangtaste, werde ich plötzlich von einem grellen Licht geblendet. Ich blinzele, und sehe dass ich versehentlich eine Art Bildschirm aktiviert habe. Vor mir erscheint ein menschliches Gesicht, so perfekt dass es eine Computergrafik sein muss. Ich höre eine leicht mechanisch klingende Stimme:

„Guten Morgen! Sie befinden sich auf der ICS Zheng He, zehn Komma zwei Lichtjahre von der Sonne entfernt. Das aktuelle Datum auf der Erde ist Dienstag, der neunte April 2148. Ich bedauere ihnen mitteilen zu müssen, dass es nicht möglich war, Sie auf der Erde zu reanimieren, weil die Bevölkerung des Sonnensystems auf zwanzig Milliarden Menschen beschränkt ist. Da es für eine längere Raumreise unvermeidlich ist, die Passagiere einzufrieren, bot es sich an, Ihnen einen freien Platz auf einem unserer Kolonieschiffe zuzulosen. Sie sind null Komma drei Lichtjahre vom Epsilon Eridani-System entfernt, in dem sich unseren Berechnungen zufolge mindestens ein bewohnbarer Planet befindet. Viel Glück!“

[1] Vorbild: „Transhumanism as Simplified Humanism“ von Eliezer Yudkowsky

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